Wahls, Modernes Skandinavisch
- Artikel-Nr.: 80001
Eines meiner Lieblingsbücher, gute ausführliche Analysen, Textkommentare und ein gut durchdachtes komplettes Repertoire gegen 1.e4. GM Wahls präsentiert hier ein Repertoire, das (fast) jede obskure Nebenvariante berücksichtigt (auch z.B. 1.e4 d5 2.Sf3 oder das Blackmar Diemer Gambit 1.e4 d5 2.d4) und dazu gute Empfehlungen abgibt. Trotzdem bleibt noch genug Raum, um alle Varianten (bis auf wenige nahezu irrelevante Aussnahmen wie 1.e4 d5 2.d3) ausführlich und gründlich zu behandeln. Das ist natürlich nur möglich, weil Skandinavisch weit weniger theoretisiert ist, als z.B. Sizillianisch. Bisher ist mir nur eine Variante begegnet, die Wahls nicht eingehend behandelt (1.e4 d5 2.exd5 Dxd5 3.Sc3 Da5 4.d4 c6 5.Ld3, was z.B. nach 5...Lf5 aber ziemlich harmlos und langweilig ist).
Auch ist die von Wahls vorgeschlagene Behandlungsweise (1.e4 d5 2.exd5 Dxd5 3.Sc3 Da5 gefolgt von einem frühen c7-c6, Lf5 und einem oft lange verzögerten Sf6) sehr solide und bis auf einige scharfe Varianten sind die Stellungen eher ruhig. Damit sind die Gewinnchancen vielleicht nicht so hoch wie in dynamischeren Eröffnungen, aber die Verlustchancen sinken ebenfalls dramatisch - die schwarze Stellung ist schwer zu knacken und direkte Angriffe gegen den schwarzen König sind ganz selten.
Vor allem kann man nur wiederholt erwähnen, daß das Repertoire gut durchdacht ist, Zugumstellungen sind nur ganz selten problematisch und man kann sich leicht merken, welche Züge man wann machen muß. Die Grundzüge der Skandinavisch Interpretation von Wahls kann man sich durchaus an einem Nachmittag anlesen, allerdings muß man einige wenige Kapitel doch sorgfältig lesen, da inzwischen auch die Weißspieler bemerkt haben, daß Skandinavisch immer häufiger gespielt wird.
Kritikpunkte gibt es bei diesem Buch nur wenige. Das aufinden von Varianten braucht manchmal einen Augenblick, mit einem übersichtlichen Variantenverzeichnis hinten im Buch würde es wahrscheinlich viel schneller gehen. Außerdem gibt es in der Einleitung einige merkwürdige Widersprüche (vielleicht sind die in neueren Ausgaben ja schon beseitigt) - es wird eine ganz andere Zugfolge (1.e4 d5 2.exd5 Dxd5 3.Sc3 Da5 4.d4 Sf6) diskutiert als die dann später im Buch empfohlene und es ist von einem zweiten Band die Rede, der (gemäß der Aussagen der Einleitung) längt erschienen sein müßte. Ansonsten bin ich aber mit dem Erscheinungsbild und Inhalt des Buchs sehr zufrieden, das manchmal auch über ein reines Eröffnungsbuch hinaus geht, wenn z.B. einige Einschübe zu Partiekommentierungen und dergleichen erfolgen.
Insgesamt kann ich dieses Buch nur empfehlen, ganz besonders für die Spieler, die ein etwas ruhigeres Repertoire gegen 1.e4 haben wollen und/oder nicht zu viel Zeit in Eröffnungsstudium investieren wollen.