Besprechung von GM Stefan Kindermann: Mit ihrem Werk über André Danican Philidor (1726-1795), dem... mehr
Produktinformationen "Poldauf, Philidor"
Besprechung von GM Stefan Kindermann:
Mit ihrem Werk über André Danican Philidor (1726-1795), dem größten Schachmeister des 18. Jahrhunderts, ist Susanna Poldauf ein Buch gelungen, das weit über den Rahmen einer »Schachbiografie« hinausgeht.
Susanna Poldauf, selbst als frühere Regieassistentin für Musiktheater wohl der Musik noch näher stehend als dem Schachspiel, unternimmt den faszinierenden Versuch, die Verbindung zweier auf den ersten Blick so unterschiedlicher Künste wie der Musik und des Schachspiels aufzuzeigen. Und bisher hat niemals ein Mensch diese Verknüpfung so verkörpert wie der große Franzose!
Denn neben seinem herausragenden Schachtalent war er zugleich einer der bedeutendsten Musiker des 18. Jahrhunderts, er komponierte mehr als 20 erfolgreiche Opern und hat insbesondere die Gattung der »Opera comique« mitentwickelt und geprägt.
In starkem Maße vertrat er den Geist der Aufklärung, was sich im schachlichen Bereich in seiner »L'Analysze des Échecs«, des ersten systematischen Lehrbuchs des Schachspiels niederschlug.
Vom heutigen Standpunkt beeindrucken mich insbesondere einige absolut perfekte Endspielanalysen, speziell das sehr schwierige Endspiel mit Läufer und Turm gegen Turm, aber auch die berühmte Phildorverteidigung im Turmendspiel. Leider sind seine überlieferten Partien nicht sonderlich aussagekräftig, es fehlte einfach an einigermaßen ebenbürtigen Gegnern, so dass Philidor sich häufig im Blindsimultan und mit Materialvorgabe zum Spiel stellte. Amüsant ist hier seine kreative Nutzung der Vorgabekonstellation: In einer Partie gegen Maseres, die er als Schwarzer ohne f-Bauern bestritt (eine wirklich beträchtliche Vorgabe!) beantwortete er 1. e4 mit 1. ... Sh6!! nebst 2. ... Sf7. Dieses Manöver würde sicherlich auch Klaus Bischoff begeistern, »heilt« es doch die durch das Fehlen des f-Bauern entstandene Wunde!
Seine Fähigkeit, bis zu drei Partien gleichzeitig blind zu spielen, wurde damals als wahres Weltwunder bestaunt!
Nicht zu Unrecht ist insbesondere sein Ausspruch »der Bauer ist die Seele des Spiels« bis heute in Erinnerung geblieben, legte Philidor doch als Erster herausragenden Wert auf die Bedeutung von Bauernstrukturen und die Kunst der Bauernführung! Wie Susanna Poldauf andeutet, gehört er damit (natürlich ohne es selbst so beabsichtigt zu haben!) auch zu den ideellen Wegbereitern der Französischen Revolution! Die in Poldaufs Werk wiedergegebenen Auszüge aus Philidors Schachbuch zeigen, dass der französische Meister wirklich bereits über erstaunliches Positionsgefühl verfügte. Bemerkenswert für mich ist dabei, dass in seinen Kommentaren die Bedeutung der Figuren völlig in den Hintergrund tritt.
Wie Poldauf darlegt, war auch Philidors musikalisches Schaffen stark vom Kontakt mit großen Philosophen der Aufklärung wie Diderot und Rousseau geprägt und steht ganz im Zeichen eines modernen rationalistischen Weltbildes. (Leider fehlt mir selbst das musiktheoretische Verständnis, um dies gänzlich verstehen zu können, doch Poldauf leistet gute Arbeit, um auch völligen Laien hier zumindest eine Grundidee zu vermitteln.)
Dieses Buch zeigt Philidors Harmonie zwischen schachlichem und musikalischen Schaffen, wobei es ihm wohl ein wenig Kummer bereitete, dass sein musikalisches und durchaus bedeutendes Werk niemals ganz die Anerkennung wie seine schachlichen Leistungen fand.
Gleichzeitig wird vor dem Leser ein Bild des kulturellen und geisteswissenschaftlichen Lebens des 18. Jahrhunderts entwickelt, die politische Entwicklung reicht bis zur Französischen Revolution. Diese bereitete Philidor, der ein Freund des Adels war, große Probleme und führte zur erzwungenen Trennung von seiner Familie. Kurz darauf starb Philidor mit 69 Jahren in seinem Londoner Zweitwohnsitz. Faszinierend beschrieben sind seine Begegnungen und Beziehungen mit anderen herausragenden Persönlichkeiten seiner Zeit, auch dem legendären Schachautomaten, dem »Türken« von Kempelen und seinem Treffen mit unserem Helden ist ein Kapitel gewidmet. Hier wird der Traum von einer denkenden Maschine in engem Zusammenhang mit Gedankengut der Aufklärung gezeigt und hier liegt sicherlich eine Keimzelle für viele kommende naturwissenschaftliche Entwicklungen!
Als besonders anregend habe ich den direkten Vergleich zwischen Musik und Schach empfunden, es gelingt Poldauf hier, eindringliche Parallelen zu zeigen und eine viel tiefere Wesensverwandtschaft darzustellen, als ich sie selbst vermutet hätte!
Angereichert ist das ansprechend gestaltete Buch mit zahlreichen Portraits und anderen zeitgenössischen Darstellungen.
Susanna Poldauf bleibt in ihrer Darstellung stets nüchtern und verlässt niemals den Boden einer klaren historisch-wissenschaftlichen Arbeit zu Gunsten einer idealisierenden Heldenverehrung.
Für jeden schach- oder musikhistorisch interessierten Leser ein wahrer Leckerbissen, stellt dieses Buch gerade für Menschen, die bisher dem Schachspiel als Kunst skeptisch gegenübergestanden sind, ein hervorragendes Geschenk dar!
Mit ihrem Werk über André Danican Philidor (1726-1795), dem größten Schachmeister des 18. Jahrhunderts, ist Susanna Poldauf ein Buch gelungen, das weit über den Rahmen einer »Schachbiografie« hinausgeht.
Susanna Poldauf, selbst als frühere Regieassistentin für Musiktheater wohl der Musik noch näher stehend als dem Schachspiel, unternimmt den faszinierenden Versuch, die Verbindung zweier auf den ersten Blick so unterschiedlicher Künste wie der Musik und des Schachspiels aufzuzeigen. Und bisher hat niemals ein Mensch diese Verknüpfung so verkörpert wie der große Franzose!
Denn neben seinem herausragenden Schachtalent war er zugleich einer der bedeutendsten Musiker des 18. Jahrhunderts, er komponierte mehr als 20 erfolgreiche Opern und hat insbesondere die Gattung der »Opera comique« mitentwickelt und geprägt.
In starkem Maße vertrat er den Geist der Aufklärung, was sich im schachlichen Bereich in seiner »L'Analysze des Échecs«, des ersten systematischen Lehrbuchs des Schachspiels niederschlug.
Vom heutigen Standpunkt beeindrucken mich insbesondere einige absolut perfekte Endspielanalysen, speziell das sehr schwierige Endspiel mit Läufer und Turm gegen Turm, aber auch die berühmte Phildorverteidigung im Turmendspiel. Leider sind seine überlieferten Partien nicht sonderlich aussagekräftig, es fehlte einfach an einigermaßen ebenbürtigen Gegnern, so dass Philidor sich häufig im Blindsimultan und mit Materialvorgabe zum Spiel stellte. Amüsant ist hier seine kreative Nutzung der Vorgabekonstellation: In einer Partie gegen Maseres, die er als Schwarzer ohne f-Bauern bestritt (eine wirklich beträchtliche Vorgabe!) beantwortete er 1. e4 mit 1. ... Sh6!! nebst 2. ... Sf7. Dieses Manöver würde sicherlich auch Klaus Bischoff begeistern, »heilt« es doch die durch das Fehlen des f-Bauern entstandene Wunde!
Seine Fähigkeit, bis zu drei Partien gleichzeitig blind zu spielen, wurde damals als wahres Weltwunder bestaunt!
Nicht zu Unrecht ist insbesondere sein Ausspruch »der Bauer ist die Seele des Spiels« bis heute in Erinnerung geblieben, legte Philidor doch als Erster herausragenden Wert auf die Bedeutung von Bauernstrukturen und die Kunst der Bauernführung! Wie Susanna Poldauf andeutet, gehört er damit (natürlich ohne es selbst so beabsichtigt zu haben!) auch zu den ideellen Wegbereitern der Französischen Revolution! Die in Poldaufs Werk wiedergegebenen Auszüge aus Philidors Schachbuch zeigen, dass der französische Meister wirklich bereits über erstaunliches Positionsgefühl verfügte. Bemerkenswert für mich ist dabei, dass in seinen Kommentaren die Bedeutung der Figuren völlig in den Hintergrund tritt.
Wie Poldauf darlegt, war auch Philidors musikalisches Schaffen stark vom Kontakt mit großen Philosophen der Aufklärung wie Diderot und Rousseau geprägt und steht ganz im Zeichen eines modernen rationalistischen Weltbildes. (Leider fehlt mir selbst das musiktheoretische Verständnis, um dies gänzlich verstehen zu können, doch Poldauf leistet gute Arbeit, um auch völligen Laien hier zumindest eine Grundidee zu vermitteln.)
Dieses Buch zeigt Philidors Harmonie zwischen schachlichem und musikalischen Schaffen, wobei es ihm wohl ein wenig Kummer bereitete, dass sein musikalisches und durchaus bedeutendes Werk niemals ganz die Anerkennung wie seine schachlichen Leistungen fand.
Gleichzeitig wird vor dem Leser ein Bild des kulturellen und geisteswissenschaftlichen Lebens des 18. Jahrhunderts entwickelt, die politische Entwicklung reicht bis zur Französischen Revolution. Diese bereitete Philidor, der ein Freund des Adels war, große Probleme und führte zur erzwungenen Trennung von seiner Familie. Kurz darauf starb Philidor mit 69 Jahren in seinem Londoner Zweitwohnsitz. Faszinierend beschrieben sind seine Begegnungen und Beziehungen mit anderen herausragenden Persönlichkeiten seiner Zeit, auch dem legendären Schachautomaten, dem »Türken« von Kempelen und seinem Treffen mit unserem Helden ist ein Kapitel gewidmet. Hier wird der Traum von einer denkenden Maschine in engem Zusammenhang mit Gedankengut der Aufklärung gezeigt und hier liegt sicherlich eine Keimzelle für viele kommende naturwissenschaftliche Entwicklungen!
Als besonders anregend habe ich den direkten Vergleich zwischen Musik und Schach empfunden, es gelingt Poldauf hier, eindringliche Parallelen zu zeigen und eine viel tiefere Wesensverwandtschaft darzustellen, als ich sie selbst vermutet hätte!
Angereichert ist das ansprechend gestaltete Buch mit zahlreichen Portraits und anderen zeitgenössischen Darstellungen.
Susanna Poldauf bleibt in ihrer Darstellung stets nüchtern und verlässt niemals den Boden einer klaren historisch-wissenschaftlichen Arbeit zu Gunsten einer idealisierenden Heldenverehrung.
Für jeden schach- oder musikhistorisch interessierten Leser ein wahrer Leckerbissen, stellt dieses Buch gerade für Menschen, die bisher dem Schachspiel als Kunst skeptisch gegenübergestanden sind, ein hervorragendes Geschenk dar!
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